Die Atemwanderung

unterwegs mit Toni Fenkl

„So, hier bleiben wir stehen“, sagt Toni. Wir haben einen Eichenwald erreicht. Hoch und erhaben ragen die Bäume in die winterliche Stille, die an diesem Wochenende über Bad Wörishofen liegt. Toni gibt Anweisungen, wir sollen die Beine ein wenig auseinander stellen, die Füße fest auf den Boden. Und dann erklärt er die erste Übung. „Im weiten Bogen heben wir die Arme langsam über den Kopf und atmen dabei tief ein. Beim Ausatmen kehren die Arme wieder zurück vor den Körper. Wir wiederholen die Übungen einige Male.“ Dann stehen wir da im Wald, heben und senken die Arme, atmen laut vernehmlich. Ein und Aus. Ein und Aus.

Die Luft steht uns in weißen Wattebäuschen vor den Gesichtern. Wahrscheinlich haben sich irgendwo hinter den Bäumen ein paar Wildtiere versammelt und schauen uns fasziniert zu. Doch es tut gut, das Leben zu spüren, wie es den Brustraum ausfüllt, wie man sich streckt und reckt. Sollen die Wildschweine doch denken, was sie wollen. Und Toni fragt: „Na, wie fühlt sich das an?“ Das wird er immer wieder tun während dieser Atemwanderung, fragen, wie es sich anfühlt. Es fühlt sich gut an. Äh, Atemwanderung? Ja, wir hatten uns auch über den Begriff gewundert. Ist es nicht eine Selbstverständlichkeit, dass man beim Wandern atmet? Doch dann hatte uns die Beschreibung neugierig gemacht, in der es hieß, dass sich bei dieser Therapiewanderung mit Atemübungen „einengende Strukturen“ und „Spannungen“ lösen. Und wir schlossen uns am Morgen Toni Fenkl an, der dieses Angebot für die Stadt Bad Wörishofen durchführt. Umsonst und draußen, zumindest für Inhaber einer Gästekarte.

Der Spaziergang beginnt am Kurhaus, führt hinaus zum Eichwaldpark, dann über Felder und Wiesen, entlang von Bächen und Hecken in einer großen Schleife zurück in die Stadt. Der werden wir uns dann durch den Kurpark nähern. Auf dem Weg dahin, bleiben wir immer wieder stehen und machen einige der Übungen, die uns der Toni – „wenn wir zusammen sporteln, dann duzen wir uns“ – zu tun heißt. Wir werfen die Arme um uns wie Dreschflegel. Wir schließen die Augen und atmen tief. Wir schließen die Augen und atmen flach. Wir spüren wie uns das Blut durchströmt, wie sich nicht nur unsere Lungen weiten, sondern unsere Welt.

„Na, wie fühlt sich das an?“ Großartig fühlt sich das an. Und es macht neugierig auf den Menschen, der uns zu Atemwanderern gemacht hat. Während wir dem Stutweidbach folgen, der durch die Wiesenlandschaft gurgelt, quetschen wir den Toni Fenkl aus. Wir erfahren, dass er Polizist war und vor fast 40 Jahren, die Dienstmarke an den Nagel gehängt hat. Er betreibt eine Praxis für Massagen, Yoga, Bewegungs- und Entspannungstherapie. Wir sehen uns den Mann genauer an: groß gewachsen, volles graues Haar, ein Gesicht voller Lebenslust. So mancher würde gern so altern wie der Toni, der große Sebastian Kneipp-Fan. Dessen Lehren, so der Toni, funktionieren heute mehr denn je. Wir haben eine vom Bodenfrost weiß gewordene Wiese erreicht, ziehen nun die Schuhe aus, um barfuß durch das eisige Grüne zu gehen. „Na, wie fühlt sich das an?“

Anfangs ist es bloß kalt. Nach wenigen Momenten beginnen die Füße vor Kälte zu brennen. Und statt einigermaßen würdevoll zurück zur Bank zu schreiten, vor der die Schuhe stehen, flitzt man schnell hin. Uiuiui. Dann aber setzt ein, was man auch von anderen Anwendungen nach Kneipp kennt, etwa von der Nachtwaschung oder den Morgengüsssen – das Blut zirkuliert, die Haut glüht, Wärme und Wohlbefinden breiten sich aus. Wie ein Kind erlebt man den Zauber des eigenen Körpers. „Kneipp hat uns noch viel zu geben“, sagt Toni auf dem Weg durch den winterlichen Park zurück in die Stadt. Er meint damit nicht bloß die Güsse. Auch die Ordnungstherapie und die Ernährung seien Themen, bei denen man fast den Eindruck haben könne, Kneipp hätte seine Zeilen für die heutige Zeit geschrieben. In der immer mehr Menschen auch eine Auszeit vom Alltag suchen, einen Moment der Rückbesinnung. Rückbesinnung auf sich selbst. Und das Atmen – das ist das wahre Ich. Ein letztes Mal holen wir tief Luft und atmen langsam und ruhig aus.

 

Wem seine Gesundheit also lieb und teuer ist, der biete das Möglichste auf, dass er in reiner Luft seine Zeit zubringe…“ Sebastian Kneipp Info: Atemwanderungen. Geführte Wanderungen mit Atemübungen oder über den wundervollen Barfußpfad werden von der Kurverwaltung in Bad Wörishofen angeboten. … mehr

Fotos: Susanne Baade, Text: Dirk Lehmann

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